Frauen, Männer, Medien

Über Frauenhass, Opferschutz, Täterrechte und die politische Meinungsmache.

Der Fall der toten Sozialtherapeutin Adeline berührt mich sehr.
Ich bin betroffen, weil sie eine Frau in meinem Alter war, Mutter eines kleinen Kindes und berufstätig in einer Branche, über die die Mehrheit der Bürger nicht viel weiss und deshalb umso mehr mutmasst.

Schon als Adelines Verschwinden in den Medien gemeldet wurde, tauchten erste Mutmassungen auf Kanälen wie Twitter auf. Für die einen war klar, dass die „attraktive Therapeutin“ mit dem Häftling eine Affäre hatte und geflohen war. Hier kommt ganz offen der versteckte Hass auf Frauen, besonders auf jene, die im Sozialbereich tätig sind, ans Licht. Adeline ist plötzlich auf allen Titelseiten. Ihre natürliche Schönheit berührt, doch nun wird diese Frau in den Dreck gezerrt.

Schon kurze Zeit später melden sich Politiker und andere Schattenwesen zu Wort, die Adeline als unfähig und naiv bezeichnen und das System als unbrauchbar markieren. Nur wenige sprechen darüber, dass die Sozialtherapeutin einen Auftrag ausführte, den ihr jemand gegeben hat. Niemand hinterfragt, wie es der Frau dabei ergangen sein mag. „Weg mit der Kuscheljustiz!“ schreien sie. Dass es „Experten“ in was auch immer gab, die dem mutmasslichen Täter Freigang ermöglichten, ist plötzlich unwichtig. Bei einer solch emotionalen Diskussion wird plötzlich jeder Zeitungsleser zum unumstösslichen Experten in Strafrecht, Psychologie und Stammtischphilosophie.

Dann wird Adeline tot aufgefunden. Jemand hat ihr die Kehle durchgeschnitten. Der mutmassliche Täter ist auf der Flucht. Die Medien analysieren den mutmasslichen Täter. Wer ist er? Wie gefährlich ist er? Warum durfte/musste die Frau ihn chauffieren? Die Diskussion geht nun in Richtung „darf eine Frau überhaupt einen solchen Täter alleine begleiten?“. Wir bemerken, dass hier das Bild der schwachen Frau zementiert wird. Gäbe es denselben Aufschrei, wenn ein attraktiver, junger Polizeibeamte gefesselt und getötet worden wäre? Würde man dann nicht eher die Frage nach „warum musste dieser Mensch das alleine tun?“ stellen?

Mir persönlich hängt die politische Diskussion über die Menschenrechte der Täter im Moment zum Hals heraus. Ich bin gegen die Todesstrafe. Ich halte nicht viel von Verstümmelung der Täter. Aber: ich würde mir wünschen, dass die politisch Verantwortlichen sich vermehrt mit den Opfern auseinandersetzten. Kein einziges politisches Lager stellt diese Frage, was symptomatisch für unser Land zu sein scheint. Jeder rettet seine dreckigen Felle ans Land. Die Opfer verkommen zur leidigen Kostenstelle.

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