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Vom Umgang in den sozialen Medien in Zeiten von #nobillag

Wer sich in den „Sozialen Medien“ bewegt, braucht ein dickes Fell oder aber sehr viel Glauben an das Gute im Menschen. Ich persönlich glaube an den Mute-Knopf und, im schlimmsten Fall, ans „Blockieren“.

Ich bewege mich seit 2001 im Internet und auf sozialen Plattformen. Twitter war und ist dabei meine liebste. Hier treffe ich seit Jahren täglich Freunde, Bekannte und Gleichgesinnte, nehme an ihrem Leben teil und informiere mich über das aktuelle Tagesgeschehen. Ich schätze hierbei den Kontakt zu Menschen, die ich ohne Twitter nie getroffen hätte. Wer den Mut hat, seine Filterblase zu vergrössern, wird es nicht bereuen.

Die Schweizer Twittersphäre ist überschaubar. Hier kennt fast jeder jeden.
Umso härter tobt die verbale Schlacht im Vorfeld der Abstimmung über die #nobillag-Initiative. Mit einem Mal scheint die Twitter-Schweiz in ein Ja- und in ein Nein-Lager geteilt. Dazwischen gibt es praktisch nichts und keinen.

Ich bloggte mehrere Jahre lang auf meinen Fernsehblog tvreal.ch über das SRF, oft auch ausgesprochen kritisch, und habe dabei einige sehr nette Menschen kennengelernt. Bereits damals habe ich mich immer wieder über die abgehobene Haltung gegenüber den Kunden geärgert. Dass SRF beispielsweise das Publikum für zu doof für die wunderbare Serie „Mad Men“ hielt, fand ich einfach nur arrogant und für mich total unverständlich. Damals begann ich, „meine“ Serien auf anderen Kanälen zu konsumieren.

Don’t share.
Ich teilte in den letzten Monaten viele informative Links und wurde deswegen von anderen Twittern mehr oder weniger freundlich angegangen. Mitarbeitende von SRF fragten mich öffentlich und privat, konfrontierten mich mit Sätzen wie: „Schade, dass du auf einmal so verbittert bist“ oder „Aber du warst doch immer so ein grosser Fan von SRF?“ oder „Wie kannst du jetzt nur für #nobillag sein?“

Ich eigne mich schlecht zum Fangirl. Und als verbittert würde ich mich ganz bestimmt nicht bezeichnen. Getroffen haben mich solche sorglos hingeworfenen Worte trotzdem. Ich empfinde diese Art von sozialem Druck als ziemlich unhöflich.

Die Begeisterung ist längst versiegt.
Begeistert bin ich von all den Sendern der SRG SSR schon lange nicht mehr. Aber die durchaus vorhandene Sympathie für die Mitarbeitenden der SRG reicht für mich nicht als Entscheidungsgrundlage in dieser Abstimmung aus. Ich empfinde die Billag-Gebühren als viel zu hoch und möchte gerne selber entscheiden, wofür ich diese (für mich) beachtliche Summe ausgebe. Ich bekomme mit, dass es vielen Gleichaltrigen in meinem Berufsfeld ähnlich geht. Dass jeder diese Gebühren in gleicher Höhe für Angebote bezahlen muss, die sie oder er nicht gar nicht konsumiert, empfinde ich als ungerecht. Dass #nobillag-Befürworter wegen dieser Haltung gleich in die demokratiefeindliche Ecke abgeschoben werden, finde ich im höchsten Masse befremdlich.

„Solidarität“ auf Kosten Armer. Well done!
Stellen Sie sich vor, sogar Demenzkranke bezahlen Billag:. Solange sie in den eigenen vier Wänden leben, selbst wenn sie nicht einmal mehr wissen, was ein TV oder ein Radiogerät ist, geschweige denn ein solches Gerät bedienen können, sind sie billagpflichtig. Als Empfänger von Ergänzungsleistungen könnten sie sich befreien lassen. Aber die Betroffenen müssen selbst aktiv werden oder aber auf einen kompetenten Beistand hoffen, der weiss, dass eine Befreiung möglich wäre. Zwischen Spitex- und Pflegekostenabrechnungen geht die Billagrechnung aber oft unter. Diese Gruppe von Menschen hat keine Lobby. Hauptsache, die Kohle fliesst. 451.- Stutz sind ja nicht die Welt.

Don’t discuss!
Meine Sichtweise brachte ich in einer Diskussion mit SRF Eco-Moderator Reto Lipp ein, der mir dann auch rasch vorwarf, ich würde Demenzkranke für die Abstimmung instrumentalisieren. Die darauf folgende Diskussion zeigte mir rasch auf, dass sachliches Diskutieren nicht immer die Sache der Initiativ-Gegner ist. Also liess ich es bleiben.

Beschimpfungen von allen Seiten
Der Ton im Netz hat sich in den letzten Monaten vor der Abstimmung verschärft. Initiativ-Befürworter werden regelmässig von den Gegnern als Staatsfeinde, Populisten, rechte Hohlbirnen und libertäre Hetzer beschimpft. Umgekehrt unterstellen viele den Gegnern kommunistische oder gar stalinistische Tendenzen oder einfach nur eine ungesunde Staatshörigkeit. Aber mein Eindruck ist, dass die Befürworter der Initiative häufiger und stärker unter der Gürtellinie angegangen werden. Man zeigt sich in den sozialen Medien #nobillag gegenüber nur schon aufgeschlossen und hält die Initiative für bedenkenswert? Dann ist man Sektierer, krank, vaterlandsloser Gesell, brandgefährliche Zecke oder libertärer Fanatiker und darf dementsprechend angepöbelt werden.

Wer sind die Hater?
Der durchschnittliche Hater scheint über vierzig und männlich zu sein. Ich vermute „frustriert“ ist ebenfalls ein weiteres Attribut dieser Spezies. Beim Lesen verschiedenster Online-Kommentare taucht bei mir der Verdacht auf, dass diese Männer mittleren Alters aus allen politischen Lagern stammen. Hass auf andere und ein tiefes Selbstwertgefühl scheinen kein Parteibuch zu haben.
All diesen Männer gemein ist die Wut, wenn nicht gar ein Hass auf Frauen. Sie lassen ihren aufgestauten Frust in Kommentarspalten, in Threads, via private Nachrichten oder aber in anonymen Schreiben vorwiegend an weiblichen Usern aus.

Bei der #nobillag-Abstimmung ist das nicht anders. Wer sich öffentlich, und das sind Twitter und Facebook nun mal, zu Wort meldet, muss damit rechnen und leben, dass er beschimpft, angegriffen, beleidigt und verbal verletzt wird. Auch ich wurde per PN mehr oder weniger freundlich gebeten, endlich zu #nobillag zu schweigen. Ich wurde und werde beschimpft und angegriffen. Ist das der Preis der Meinungsfreiheit in der Schweiz?

War früher alles besser?
Kaum. Es ist ja nicht erst seit wenigen Jahren so, dass Abstimmungen unser Land geteilt haben. Ich nehme an, dass dieser Hass bereits bei den Frauenwahlrecht-Abstimmungen zu spüren war. Schon damals werden sich gerade Männer wüste Schlötterlig an den Kopf geschmissen haben. Aber wissen Sie was? Jemanden am Stammtisch direkt „Schofseckel“ zu nennen hat dann doch eine andere Qualität, als anonym wildfremden Leuten zu schreiben: „Halt die Fresse!“ Eine konstruktive Diskussion ist mit solchen Menschen nicht möglich. Haters gonna hate.

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