Feminismus, Frauen

Mutter auf Zeit

Natürlich wurde ich oftmals in jüngeren Jahren gefragt, warum ich keine Kinder will. Die Antworten meinerseits waren ganz klar: ich will nicht. Punkt.
Spätestens als meine Mutter im Sterben lag und nebenbei, so ganz nebenbei, bemerkte: „Enkel wären jetzt schon noch toll“ konnte ich der Frage emotional nicht mehr ausweichen.

Wenn ich in meiner Familie herumschaue, so habe ich nie Vollblut-Mütter erlebt. Meine Mutter lebte ihr Muttersein nicht gluckenhaft aus. An ihrem Beispiel, sie verlor meinen Bruder und noch weitere Kinder, lernte ich früh, dass Muttersein im Real Life etwas anders läuft als in der Frühstücksflocken-Werbung.

Meine Mutter weinte sehr oft. Es hat mir fast das Herz zerbrochen. Ich erinnere mich an eine Szene, wo sie in jenem dunkelgrün gekachelten Bad auf dem Klo sass und gottsjämmerlich weinte. Ich war noch sehr klein. Kurz zuvor war mein Bruder verstorben. Sie wollte nicht vor mir weinen, sondern zog sich zurück. Ich reichte ihr einen Bodenlappen und sagte: „Mami, du rägnisch.“

Ich habe mich gegen Kinder entschieden und dies auch jedem Mann, mit dem ich bisher zusammen war, ganz offen gesagt. Für mich waren und sind menschliche Beziehungen essentiell. Ich mag es, befreundet zu sein, Menschen zu umsorgen, zu kochen oder zu chatten. Aber irgendwas in mir mag sich nicht vollends in eine Beziehung zu einem anderen Menschen hingeben. So empfinde ich Mutterschaft nämlich. Die Monate der Schwangerschaft, die Geburt, das Miterleben von Grösser- und Erwachsenwerden eines Kindes, mag ich nicht auf mich nehmen. Nennen Sie mich ruhig feige.

Stattdessen nahm etwas anderes als Mutterschaft in meinem Leben Platz.
Ich arbeite in der Betreuung von Menschen mit einer Behinderung. Das bedeutet, dass ich während einer gewissen Phase ihres Lebens Menschen begleite. Diese Arbeit füllt mich aus. Ich fühle mich hier aber nicht als „Mutter“. Es ist viel eher eine ganzheitliche Aufgabe, weil ich auch mit der Familie eines betreuten Menschen arbeite und spreche.

Als die Demenzerkrankung meiner Oma fortschritt, sprach sie mich oft als ihre Mutter Berta an. Berta war eine rundliche Frau mit lieben Gesicht, wahrscheinlich langen weissen Haaren, die sie zu einem Dutt zusammen band. Ich besitze tatsächlich Bertas weiche Gesichtszüge.

Beziehungen, die absehbar sind, mag ich. Irgendwie. Die Beziehung zwischen Omi und mir ist so gestaltet. Wir wussten immer, dass sie irgendwann vor mir geht. Aber tut der Intensität und der Qualität unserer Beziehung nie einen Abbruch. Ich habe keinen Anspruch auf einen anderen Menschen.

Bis heute habe ich es nie bereut, dass ich keine Kinder habe. Aber ich habe auch kein Problem, mich als „kinderlose Frau“ zu bezeichnen, weil ich weiss, dass meine Beziehungen zu anderen Menschen wertvoll und nicht untereinander zu vergleichen sind.

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3 Gedanken zu “Mutter auf Zeit

  1. Dani schreibt:

    Danke für deinen Beitrag – auch, wenn dieser bereits 2016 verfasst wurde und wir jetzt schon im Jahr 2021 sind. Das Thema ist dennoch immer aktuell und beschäftigt sicherlich viele Frauen, aber auch Männer. Ich befinde mich momentan im Zwiespalt, da ich Anfang 30 bin und mich mit dem Thema auseinandersetze, da zurzeit alle Freunde um mich herum schwanger werden. Mal abgesehen davon, dass ich zwar in einer Beziehung bin, befinde ich mich dennoch in einer sehr entspannten Situation, da mein Partner mich nicht unter Druck setzt und selbst damit umgehen/leben könnte, kein Kind zu haben. Ich glaube, dass man wirklich in sich gehen und lernen muss, was man im Leben möchte und was nicht. In jungen Jahren gab es für mich keinen Zweifel mal irgendwann Mutter zu werden und ich fand es sehr schlimm damals zu wissen, dass meine Tante kinderlos bleiben wird – das war für mich total unverständlich. Mittlerweile verstehe ich solche Entscheidungen und höre auch von immer mehr Frauen, die sich bewusst für ein kinderloses Leben entscheiden. Momentan empfinde ich noch nicht den Wunsch Mutter zu werden, vielleicht sieht das im nächsten Jahr schon anders aus. Ich würde bisher entsprechend nicht sagen, dass ich mich bewusst schon für oder gegen ein kinderloses Leben entschieden habe. Das ist sicherlich ein Prozess, der wie ich merke, aber auch sehr zermürbend und anstrengend sein kann – ob Ja oder Nein…
    Danke jedenfalls für deinen Ansatz und deine Worte, die darlegen, dass es völlig in Ordnung ist, sich auch dagegen zu entscheiden.

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