Eine Carte blanche für Regula Aeppli
In Anlehnung an einen tollen Song
Vor einer Woche wurde ich ein halbes Jahrhundert alt. So ausgedrückt fühlt es sich alt an. Ich fühle mich aber weder jung noch alt, sondern im besten Alter.
Vor ein paar Tagen wurde im TV ein Club ausgestrahlt zum Thema „Ab 50 Jahr – Frau unsichtbar?“ Ich habe die Beschreibung im Vorfeld nicht gelesen und war deshalb enttäuscht, dass bloss über die Chancen auf dem „Partnerschaftsmarkt“ geplaudert wurde. Seit 26 Jahren glücklich verheiratet, ist es mir egal, ob mir die Männer immer noch nachpfeifen oder nicht. Aber „unsichtbar“ fühle ich mich in der Arbeitswelt – bei den Entscheidungsträgern, ob mir als Wiedereinsteigerin eine Chance gegeben werden soll oder nicht. Wer meine Bewerbung in die Hände bekommt, für den bin ich, so muss ich annehmen, „weg vom Fenster, zu alt, zu lange weg vom Beruf, uninteressant“. Meine vielen Qualifikationen, welche ich im Verlauf der Jahrzehnte in der Familie, im Berufsleben, in ehrenamtlichen Tätigkeiten erworben habe, scheinen nicht wirklich zu zählen, denn ich wurde innerhalb meiner 12-jährigen Stellensuche, bloss einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Erfreulicherweise bin ich finanziell nicht auf eine Teilzeitstelle angewiesen. Auch zu meinem Glück fehlt Gott sei Dank nichts. Ich fühle mich rundum wohl und zufrieden in meinem Leben, aber das war nicht immer so.
Es gab dunkle, schwere Zeiten und tief verletzende, zwischenmenschliche Erfahrungen. Doch all das, was ich während 5 Jahrzehnten erlebte, durchlitt und durchkämpfte, lässt mich heute sagen:
Ich glaube nicht mehr alles unvoreingenommen, was mir von Autoritäten in Freikirchen gepredigt wird, sondern habe meinen eigenen Glaubensweg gefunden. Während rund 32 Jahren war ich aktives Mitglied einer Freikirche. Aufgrund vieler schmerzlichen Erfahrungen, gab ich dieses Jahr den Austritt, was alles andere als einfach für mich war und es bis heute nicht ist. Für viele freikirchliche Christen bin ich nun zu liberal im Glauben und zu kritisch. Handkehrum bin ich für Menschen, welche mit dem Christsein nicht viel am Hut haben, zu fromm. Doch ich lasse mich nicht beirren, denn ich bin im Reinen mit Gott und mir. Noch vor ein paar Jahren fand ich nicht den Mut, zu diesem konsequenten, eigenen Weg. Ich stehe klarer zu meiner Meinung und will nicht mehr allen Menschen um jeden Preis gefallen. Es gelingt mir besser, meinen Wert selber zu kennen und zu achten.
Ich sehe vieles im Leben ganzheitlicher, im Kontext, kann besser „Verknüpfungen“ zwischen politischen, persönlichen, weltanschaulichen, religiösen und anderen Themen herstellen.
Ich kann besser Grenzen ziehen („stopp, bis hierher und nicht weiter“), lasse mir nicht mehr soviel gefallen wie noch vor ein paar Jahren, habe aber auch zu einem besseren Umgang mit zwischenmenschlichen Konflikten gefunden.
Ich kenne meine körperlichen, charakterlichen und psychischen Schattenseiten besser. Es gelingt mir zwar nicht jeden Tag, gut damit zu leben, aber viel besser als noch vor einem Jahrzehnt. Ich habe gelernt, auf meinen Körper und meine Psyche zu hören und mir selber das zu gönnen, was ich im Moment brauche, um wieder ins Lot zu kommen. Und ich rechtfertige mich nicht mehr meinen Mitmenschen gegenüber für mein Schlafbedürfnis von mindestens 10 Stunden.
Alle erlebten und durchlittenen Höhen und Tiefen in meinem halben Jahrhundert Leben, haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin: eine glückliche, erfüllte Frau, welche mitten im Leben steht. Ich möchte nicht mehr 20 sein und kann für mich sagen: „Ich bin ein Stückchen weiser geworden mit meinen 50ig Jahren.“
Regula Aeppli, Familienmanagerin, Testkundin, Hausabwartin, freie Autorin, Hundesitterin, Mitarbeiterin der ref. Kirche (kein Kirchenmitglied), Chorsängerin, Linedancerin
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Stellensuche: Meine Erfahrungen sind, dass man mit Netzwerken und Vitamin B oft schnell eine Stelle findet, wogegen in einem üblichen Bewerbungsverfahren bei vielen Interessenten ist die Chance gering.
Momentan bin ich in dieser Lage. Sobald meine Ferien fertig sind, werde ich ein Rund-Email, aber persönlich abgefasst, verschicken, um wieder eine Stelle zu finden.
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