Frauen, Männer

Achtung, üben Sie Rücksicht. Ich bin Elternteil!

Früher habe ich mich immer sehr gefreut, wenn Freundinnen und Freunde Eltern wurden. Die Geburt eines Kindes ändert doch alles. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Alles wird gut!

Heute sehe ich das etwas nüchterner.
Ich bin, zumindest, erleichtert, wenn meine Freunde nach der Geburt des neuen Erdenbürgers noch einigermassen Benimmregeln und alle Tassen im Schrank haben.

Oh, wie unsensibel! Wie elternfeindlich!
werden Sie jetzt vielleicht dem Erzeuger ihres zu stillenden Familienmitglieds zurufen.
Sie haben Recht. Auf den ersten Blick mag das so wirken.
Aber: hier schreibt Ihnen eine von Co-Elternschaft und unerträglicher Rücksichtnahme traumatisierte Frau.

Menschen, die Eltern werden, verändern sich total.
Der eben noch coole Hipster, mit dem frau nächtelang diskutieren und Absinthe trinken konnte, wird plötzlich zum asketischen Vegi-Tarzan. Ehemalige Genussraucher schauen einen nur schon böse an, wenn man ein Teelicht mit dem eigenen Feuerzeug anmacht. Freundinnen, mit den man über andere zickige Freundinnen so herrlich lästern konnte, finden einen plötzlich total menschenfeindlich und überhaupt unmöglich und schädlich für die innere Balance.

Sie denken, ich übertreibe?
Heute morgen fuhr auf dem Bahnhof ein übereifriger Vater eine offensichtlich blinde Schülerin an, weil sie mit ihrem weissen Stock an seinen High-Tech-Kack-Kinderwagen geriet. Er schrie sie an, ob sie nicht schauen könnte. Sie schüttelte schockiert den Kopf. Aber der Mann, wohl im Terminator-Brut-Schutz-Modus, bemerkte es nicht mal.

In meinem bevorzugten Grossverteiler rannten letzthin drei Kinder barfuss in der Modeabteilung herum. Sie machten sich einen grossen Spass, tobend an den Umkleidekabinen vorbei zu rennen und an den Vorhängen zu schütteln. Dass sich einige ältere Damen, die gerade Blusen in Übergrössen anprobierten, gestört fühlten, kümmerte die lässigen Eltern gar nicht.
„Stellen Sie sich nicht so an. Ein Kind braucht Entwicklungsspielraum. Sie waren doch auch mal jung.“

Jaaa! Das ist es wieder. Die unschlagbare Totschlagphrase. Lernen die junge Eltern eigentlich in der Gebärabteilung? Diese Eltern denken, nur weil sie Kinder auf diesen Planeten gesetzt haben, seien sie ein Geschenk der Natur und die zukünftige Lösung für alle Probleme. Wenn sie denn ihrer Brut wenigstens beibrächten, gerade in die WC-Schüssel zu kacken, würde ich ja nichts sagen. Aber nein. Moderne Eltern stellen sich zum Teil derart sackblöd und unhöflich gegenüber dem Umfeld an, dass ich mich ihrer schäme.

Manchen Menschen wünschte ich, sie wären mit implantierten Pessaren bzw. festangetackerten Kondomen, zumindest aber mit intakten Höflichkeitsformen zur Welt gekommen.

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10 Gedanken zu “Achtung, üben Sie Rücksicht. Ich bin Elternteil!

  1. cosima1973 schreibt:

    Ich verstehe dich zu gut und ich bin selber Mutter. Als Mutter darf man sich nur noch für Windeln, das Alter des ersten Puzzles und die ersten Worte interessieren und unterhalten. Wenn man dabei das Gähnen nicht verkneifen kann, ist man schnell mal unten durch. Das absolute Totschlägerkriterium ist aber immer: Das Kind muss sich entfalten. Ich kann es nicht hören. Ich mag keine im Bus sich mit schreien, rumtoben und mir klebrige Finger an die Kleider schmieren sich entfaltenden Kinder. Ich mag überhaupt keine Kinder, die sich nicht der Situation gemäss verhalten können. Auch Kinder können Rücksicht nehmen und müssen das sogar lernen. Wo soll es hinführen, wenn nicht? Das sieht man doch überall, wo Papierchen neben dem Eimer am Boden liegen, Kaugummis am Tisch kleben und dir einer direkt ins Gesicht rülpst. Die haben sich auch gut entfaltet und tun es noch heute. Nur bitte, bitte nicht in meiner Nähe.

    Ich bin bekennende autoritär erziehende Mutter. Wir haben Regeln und an die hält man sich. Punkt. Die ersten Worte meines Kindes weiss ich leider nicht, ebensowenig die Reihenfolge der ausgefallenen Zähne oder die Grösse der Puzzles, die er kann (er macht keine). Trotzdem liebe ich ihn, sehr, bin stolz auf ihn und freue mich immer, mit ihm unterwegs zu sein und Zeit zu verbringen, denn wir haben einen sehr entspannten Umgang, weil er weder im Zug schreit, rumrennt noch mir oder anderen die klebrigen Finger an die Kleider schmiert.

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  2. *autsch*
    🙂
    Ich bin bekennende antiautoritäre Mutter und also total für freie Entfaltung – aber für alles gibt es eine richtige Zeit und einen richtigen Ort! Auch für die freie Entfaltung!
    Was Erwachsene aber gerne vergessen, ist, dass kleine Kinder gewisse Dinge erst noch lernen müssen: Beispielsweise welches Verhalten in einem Kleidergeschäft angemessen ist. Das kann man nicht schon beim ersten Mal. Umso wichtiger, dass man als Elter „dran bleibt“ am Kind und es engmaschig anleitet. Aber für ein kleines Bisschen Toleranz und Nachsicht sind wir schon dankbar, vor allem jene Eltern, die mit mehr als einem Kleinkind unterwegs sind.
    Wobei ich habe ja gut reden, meiner hat mal einen Schuhladen zerlegt… nicht nur Kinder müssen lernen, mit solchen Situationen umzugehen wenn sie neu sind, sondern auch wir Eltern… man kommt ja nicht als Eltern auf die Welt… also bitte ein Bisschen Nachsicht. Wir tun unser Bestes – nur reicht das manchmal nicht ganz.

    (und die Hornochsen, die sich in einem Familienrestaurant neben die Spielecke setzen und sich dann über den Lärm und das Geläuf beschweren, die haben jeden der hier erwähnten Sprüche verdient und noch ein paar mehr! Kinder haben eh schon immer weniger Freiräume zu Toben und Sirachnen, da muss man dann nicht die paar, die es noch gibt, auch noch zur lärmfreien Zone ernennen wollen!)

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    • cosima1973 schreibt:

      Hm – ich hatte mich als autoritär bezeichnet, würde aber hier alles unterschreiben… ich glaube, wir müssten mal die Definitionen abgleichen 😉

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      • hmmm, ich bin nicht ganz antiautoritär („nicht autoritär“ wäre der bessere Begriff und wir sind, wie auch die Antiautoritäre Erziehung nach A.S. Neill weit von „Laisser faire“ entfernt, das oft fälschlicherweise als „antiautoritär“ bezeichnet wird.
        Und Du bist garantiert nicht autoritär, sondern eher das, was man als autoritativ bezeichnet, oder?
        http://de.wikipedia.org/wiki/Erziehungsstil#Autorit.C3.A4rer_Erziehungsstil
        Im Endeffekt ist das aber sowieso Tüpflischisserei und egal, wie man es nennt: Wir geben alle unser Bestes.

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  3. joe stalder schreibt:

    da hast du vielleicht ein paar krasse negativ-beispiele in die nähe der alltagsrealität gezogen.

    ich hätte bestimmt auch mühe mit solchen nicht-erzieher/innen bzw. mit den überbordenden motorisch/akustischen aktivitäten des nachwuchses derselbigen. allerdings glaube ich auch zu wissen, dass sich nicht wenige eltern ehrlich mühe geben, den gesunden mittelweg zwischen autorität und anti- zu finden und ihn auch zu gehen.

    dass die sprösslinge auf dem weg zur „vernunft“ halt auch mal die leitplanken touchieren und sie vielleicht ab und zu sogar durchbrechen, gehört meines erachtens ebenso zum leben wie die tatsache, dass nicht alle, die ein kind in die welt haben stellen können, es dort auch so begleiten können/wollen, wie’s die mitwelt wohl gerne hätte.

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    • Ich denke, es kommt massiv darauf an, dass Eltern genau diese Leitplanken bieten. Ich hab das Gefühl, dass viele meiner „Mit-Eltern“ sich damit gar nicht mehr aufhalten oder sie aus streichholzdünnen Stöckchen bauen, die bei jeden Austesten der Grenzen sofort einknicken. Liebevolle, aber konsequente Erziehung ist meiner Meinung nach die Garantie für einen guten Start in ein mitmenschenkompatibles Leben.

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  4. Mein Problem als Vater ist, dass ich auf Menschen treffe, die den Eindruck haben, wenn sie meine Kinder erziehen würden, würden sie im Bus stillsitzen und nicht herumalbern, wären sie angenehm ruhig und würden auf alle Erwachsenen Rücksicht nehmen – und nur weil ich halt ein komplett unfähiger und rücksichtsloser Vater bin, habe ich meine Kinder nicht im Griff und wage es, mit ihnen das Haus zu verlassen, bevor sie einen angemessenen Umgang mit Erwachsenen pflegen können.
    Und wenn die Leute mich dann mit ihren Ratschlägen konfrontieren, dann können die froh sein, wenn ich nur Totschlagphrasen hervorkrame. Schließlich habe ich auch einen Tag lang gearbeitet und schließlich erleben sie im Bus noch den angenehmen Teil des Tages. Wer keine Kinder ertragen kann, die sich nicht wie Erwachsene benehmen, sollte vielleicht auch zuhause bleiben.
    Natürlich kann man als Eltern wegschauen – und dann hat man einen Rüffel verdient. Aber auch hinschauen und die Kinder ermahnen führt nicht dazu, dass sie sich so verhalten, wie es die anderen Menschen dieser Welt gerne hätten. Schließlich gibt es viele Menschen, die mir nicht helfen, den Kinderwagen in den Bus zu heben, die keinen Platz für den Wagen machen, weil sie am liebsten im Zug auf den Behindertenplätzen sitzen, um ihre Koffer im Blick zu behalten, oder die denken, in bestimmten Restaurant bräuchten Kinder weder einen Stuhl noch einen Wickeltisch.
    Die Welt ist weit davon entfernt, perfekt eingerichtet zu sein. Bis dahin hilft uns wohl Verständnis weiter als permanenten Kritik und Gereiztheit.

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  5. Als ‚Elternteil‘ das sich tagtäglich mit manchmal mehr und manchmal weniger Erfolg damit abmüht, die Kinder zu rücksichtsvollem und anständigem Verhalten zu erziehen, finde ich dieses Post leicht daneben. Die Beispiele im zweiten Teil des Texts zeugen doch nicht vom Elternsein an sich, sondern eher von allgemeinem Rowdytum in der Gesellschaft, welches immer mehr um sich greift – auch bei Nichteltern. Mir kommt da auf jeden Fall grad folgendes Erlebnis in den Sinn: Ich steh mit Kinderwagen im überfüllten Zug und lasse trotzdem erst mal alle anderen aussteigen. Als ich endlich an der Reihe bin, schneidet mir die Gruppe älterer „Damen“, die bereits den Aussteigenden kaum Platz gemacht hat, einfach den Weg ab, zwängt sich an mir und meinem Kinderwagen vorbei und erklärt mir, „jetzt sind erst mal wir dran!“.

    PS. Für längere Strecken versuche ich meist auf ÖV zu verzichten, wenn die Kinder dabei sind. So vermeide ich, dass sich jemand durch mein Brut gestört fühlen könnte…

    PPS. Mir hat noch nie ein fremdes Kind im Bus seine klebrigen Finger an mich geschmiert. Hingegen habe ich mich schon oft – auch bevor ich Kinder hatte – über Blicke und Kommentare genervt, welche die armen Eltern trafen, welche im Feierabendverkehr ihre müden Kita-Kinder im Bus nachhause bringen mussten…

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  6. Pingback: Ab ins Bett, sonst stirbt ein Einhorn | feministische Wiederkäuereien

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