Da ist mir doch heute morgen im Frühdienst während der Kaffeepause fast das Brot im Hals stecken geblieben, als ich den seltsamen Artikel in der Sonntagszeitung zum Thema „Familienartikel“ las.
Die Journalistin Katia Murmann hat die Nationalrätin Nadja Pieren in deren Ferien zum Essen getroffen. Was zuerst nach einem gemütlichen Frauentee mit Kuchen aussieht, entpuppt sich aber als Abrechnung mit berufstätigen Frauen und dem von der SVP fieberhaft hochgehaltenen Muttermythos.
So erfahren wir, dass Frau Pieren das Praliné zum Kaffee verschmäht und abends gerne ein Glas Wein trinkt, allesamt Informationen, die wir in einem Interview mit einem Politiker nie zu lesen bekämen. Auch die Beschreibung von Frau Pierens Kleidung entbehrt jeglicher Sinnhaftigkeit. Oder haben Sie schon mal in einem Interview gelesen, ob Nationalrat XY eine leuchtendrote oder metallischgrüne Krawatte trägt, während er an einem Import-Mineralwasser (ohne Kohlensäure) nuckelt?
Viel spannender aber scheint Frau Pierens Abrechnung mit dem Feminismus, der die Titelzeile prägt. So erzählt die Politikerin, dass sie „so ihre Probleme mit dem Feminismus“ habe, aber Krippen nichts schlechtes findet. Ist ja klar, schliesslich führt sie selbst eine. Ich stimme sogar mit ihr überein, dass Frauen (und Männer) wählen dürfen sollten, ob sie „daheim“ bleiben oder arbeiten wollen. Ich nehme ihr ab, wenn sie sagt, es gäbe genügend Kinderkrippen, auch wenn ich die Probleme meiner KollegInnen, eine zu finden, tagtäglich mitbekomme. Ihre genannten Zahlen schüchtern schliesslich fast jeden ein.
Aber eines nehme ich dieser Frau Pieren wirklich übel. Ihre Äusserungen über Frauen, die „Karriere machen“, was auch immer das heissen mag. Kinder werden also vernachlässigt, wenn Mami mehr als drei Tage in der Woche arbeiten geht. Meine Güte! Frau Pieren, wo leben Sie eigentlich? Was nehmen Sie sich heraus?
Frau Pieren hat natürlich keine Kinder. Denn sonst könnte sie keine Politik betreiben und uns mit ihrem Nachkriegsfrauenbild beglücken. Aber: Frau Pieren arbeitet in der Betreuung. Mit der Aussage, dass (viel-) arbeitende Mütter ihre Kinder vernachlässigten, beleidigt sie ihre potentiellen Klientinnen. Und das ist ein berufsethisches No-Go.
Wenn ich eine der Klientinnen von Frau Pieren wäre, wäre dies ein Grund, mein Kind von jemand anderem betreuten zu lassen. Denn offensichtlich bringt sie keine Wertschätzung für die Frauen bzw. Familien auf, die auf Kinderkrippenplätze angewiesen sind. Aber Wertschätzung erwarte ich von der Leiterin einer solchen Einrichtung, es ist ein echtes Qualitätsmerkmal. Aber auf Wertschätzung können diejenigen, die auf Krippen angewiesen sind, offenbar nicht zählen.
Warum darf man nicht der Meinung sein, ein Hort sei bloss die zweitbeste Lösung und dennoch einen betreiben? Ich finde auch Ferrari toll, arbeite aber „nur“ in einer VW-Garage. Und warum darf man nicht der Meinung sein, dass Kinder von ihren Eltern erzogen werden sollten – und das auch sagen?
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Natürlich darf man dieser Meinung sein. Die Frage ist aber, was dieses Statement bedeutet. Du wirst Deinen Kunden in der VW-Garage bei einem Kauf nicht unter die Nase halten, dass Du Ferrari besser findest, nicht wahr?
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noch viel schöner finde ich, dass sie ihre „Firma“ mit ihrer Aussage gleich selbst diskreditiert. Ich würde ja keine Aussage machen, dass fremdbetreute Kinder vernachlässigt werden, wenn ich selber eine Krippe führe. Das spricht nicht wirklich für meine Betreuung in der Krippe…
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Das meine ich. Dabei stelle ich mir vor, dass sie doch bestimmt gute Arbeit macht. Ich verstehe es einfach nicht. Sie profitiert doch am meisten von den arbeitenden Frauen.
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Vielleicht hat sie, wie viele Gegner der Vorlage, den Text nicht richtig gelesen oder falsch verstanden. Es ist ja nicht so, dass der Bund gefälligst Krippenplätze schaffen soll. Er soll Kantone und Gemeinden nur dann anhalten, sich darum zu kümmern, falls sowohl „öffentlich“ als eben auch „privat“ zu wenige Plätze zur Verfügung stehen. Wenn in der Gemeinde genug Plätze da sind, aber alle in privater Hand, greift der Artikel nicht.
Es gibt aber auch eine zynischere Erklärungsmöglichkeit: Sie sagt, es habe „genug Plätze“. Also fürchtet sie sich vielleicht davor, dass die Menschen das nicht so sehen und weitere Krippen (gefördert) eröffnet werden = mehr Konkurrenz = weniger Profit.
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